ÉLAN LETAL
DIGNIFIED DYING DESERVES DEVOTION
ARCHITECTURE 2018 | SELF INITIATED
Most people die in the hospital or care homes, but to die in such a place is not dignified. Humans get older and older, and a location where they can put a graceful end to their life will be one of the most critical questions for our society. The draft is located on a lakeshore close to a forest area and is divided into three parts: a secular building, a sacral building and a path connecting both.
EXIT bin ich zum ersten Mal als 25-jähriger Jusstudent an der Universität Zürich begegnet. Der damals neu gegründete Verein und die von ihm angebotene Freitodbegleitung wurden in einer Vorlesung aufgenommen. Der Gedanke und die Ziele von EXIT haben mich spontan überzeugt. Als ich mit der Nachricht nach Hause kam, dass es nun einen solchen Verein gibt, sind meine Eltern und ich sofort beigetreten. Zu dieser Zeit hörte man immer wieder von Menschen, die nach Unfällen oder Krankheit ohne Bewusstsein nur mit Hilfe von Maschinen am Leben gehalten wurden. Ein solches Schicksal wollten weder meine Eltern noch ich erleiden. In unserer Familie gab es keine Berührungsängste mit dem Tod, was sicher auch mit dem schon etwas höheren Alter meiner Eltern zur Zeit meiner Geburt zusammenhing. Außerdem bin ich in einem sehr liberalen Haus aufgewachsen, in dem es keine Tabus gab und man hohen Wert auf ein selbstbestimmtes Leben legte. Ein Wunsch von uns allen war es, möglichst nahe am aktiven Leben sterben zu können. Trotz oder gerade wegen dieser Beschäftigung mit dem Tod war mein Elternhaus geprägt
von Lebenslust und -freude. Dies zeigte sich auch dann, als bei meinem Vater Stimmbandkrebs festgestellt wurde und er mit aller Kraft um sein Leben zu kämpfen begann. Tatsächlich konnte er den Krebs überwinden, doch kurz nach Eintreffen der guten Nachricht starb er an einem Herzversagen. Meine Mutter konnte den Verlust ihres geliebten Ehemannes nie ganz verwinden. Sie stürzte sich noch mehr in die Arbeit und führte den kleinen Schuhladen in Zürich, den sie mit meinem Vater aufgebaut hatte, allein weiter. Ihre Worte waren immer: «Solange ich etwas machen kann, was mir Freude bereitet, bin ich gerne hier.» Ihre Hüftarthrose wurde jedoch immer schlimmer, bis sie mit 79 Jahren vor Schmerzen fast nicht mehr laufen konnte. Nach langem Zögern entschloss sie sich, eine Operation zu wagen. Die Osteoporose war aber so weit fortgeschritten, dass das eingesetzte Implantat ihren Oberschenkelknochen zersplittern liess. Nun lag sie mit unglaublichen Schmerzen im Spital und konnte sich kaum mehr bewegen, geschweige denn aufstehen. Für meine Partnerin und mich war es deshalb keine Überraschung, als sie sagte, jetzt sei es genug. Obwohl wir mit ihr Möglichkeiten durchdachten, wie man selbst im Rollstuhl noch ein erfülltes Leben haben kann, stand ihr Entscheid fest. Was meine Partnerin und mich sehr beschäftigte, war das Motiv ihres Sterbewunsches.
Auf keinen Fall wollten wir, dass sie das Gefühl hatte, uns zur Last zu fallen. Sie machte uns aber klar, dass sie selber ihre eigene Last nicht tragen wollte. Natürlich hatte ich auch nach diesen Worten immer noch zwei Seelen in meiner Brust. Die Mutter zu verlieren, bedeutete, den letzten mit mir verwandten Menschen zu verlieren. Aber mein Wunsch und Wille, ihr beizustehen, waren grösser. Ich wusste mit meiner Unterstützung konnte ich ihr etwas ähnlich Wichtiges schenken, wie sie mir das Leben gegeben hatte. Auch für meine damalige Lebenspartnerin und heutige Ehefrau, die unabhängig von mir ebenfalls kurz nach der Gründung EXIT Mitglied geworden war, stand außer Zweifel, den Sterbewunsch meiner Mutter zu respektieren. Also nahmen wir, als sie uns darum bat, mit EXIT Kontakt auf. Meine Mutter, ich selber und schliesslich alle zusammen führten in der Folge ausführliche Gespräche mit ihrem Sterbebegleiter. Als Theologe und ehemaliger Pfarrer liess er gerade auch auf einer religiösphilosophischen Ebene einen sehr persönlichen und herzlichen Kontakt entstehen, den wir bis heute gelegentlich pflegen. Unser Hausarzt war zum Glück gut vorbereitet auf die Situation, da wir ihn gleich zu Beginn mit drei Patientenverfügungen eingedeckt hatten. Zwar stand er nicht ohne Vorbehalte zu EXIT, jedoch vorbehaltlos zum Entschluss seiner Patienten. So folgte auch er dem Wunsch meiner Mutter und stellte das erforderliche Rezept fürs Sterbemittel aus. Anders war es im Spital. Der Innerschweizer Assistenzarzt konnte den Wunsch meiner Mutter nicht respektieren. Auch einige Krankenschwestern weigerten sich sie in den Tod zu "pflegen", wie sie es nannten. Man legte uns alle erdenklichen Steine in den Weg. Obwohl das Spital nicht zulies, die Patienten im Spitalzimmer von EXIT begleiten zu lassen, verweigerte es aberdies sogar einen Krankenwagen für den Transport zum Sterbeort zur Verfügung zu stellen. Einzig der Anästhesist zeigte sich sehr einfühlsam und ermöglichte meiner Mutter schliesslich doch einen schmerzfreien Transfer. Da ihr und unser Treppenhaus zu eng war für eine Bahre, fand die Begleitung im Sterbezimmer von Exit statt. Für meine Mutter und mich - meine Mutter wünschte neben uns und dem Sterbebegleiter keine weiteren Anwesenden - war es nun an der Zeit, Abschied zu nehmen. Ich erinnerte mich an eine sehr intime, sanfte und harmonische Stimmung, die uns verband, trotz des fremden Raums. Am ehesten kann ich sie mit dem Gefühl beschreiben, jemanden vor einer langen Reise zu verabschieden. Ich werde diese Erfahrung niemals vergessen. Es war ein Abschied ohne Angst und ohne Befangenheit. Meine Mutter trank das Sterbemedikament Pentobarbital schnell, sehr entschlossen und mit großer Dankbarkeit in den Augen. Sie schlief rasch ein, übergangslos vom Schlaf in den Tod. Der stärkste Eindruck, den ich von diesem Erlebnis mitgenommen habe, ist die Dankbarkeit meiner Mutter - dafür, dass sie diese Welt und ihr Leiden verlassen durfte und dafür, dass wir sie auf diesem letzten Weg begleitet hatten.
IMPRESS
Ostpreußenstraße 52B
65207 Wiesbaden
Germany
Contact me via
mail info@luca-gruber.de
phone 0049 160 9075 0269
DATA SECURITY POLICY
© Luca Gruber 2021
All rights reserved